»Raus aus der Krise« – ist es dafür nicht zu früh, wo manche Folge noch nicht absehbar ist? Nein. Zum Lernen und Bessermachen ist es nie zu früh. Die Krise hat gesellschaftliche Widersprüche und Defizite sichtbar gemacht und zugespitzt. Die tiefgreifenden kollektiven Erfahrungen der letzten Monate hätte man noch Anfang des Jahres als unrealistisch eingestuft. Jetzt ist der Zeitpunkt zum radikalen Denken – und Handeln!
Die bisherigen Krisenerfahrungen haben einerseits unsere strategischen Leitlinien bestätigt, die wir zu Beginn der Legislaturperiode aufgestellt haben. Andererseits fordern sie uns in der konkreten Umsetzung aufs Neue heraus. Wir befinden uns in einer internationalen Krise. Deren Ausmaße sind auch eine Folge der Globalisierung. Die weltweiten Folgen werden auf die Verhältnisse hier zu Lande einwirken. Manche Probleme werden wir letztendlich nur staatenübergreifend lösen.
Als Fraktion DIE LINKE im Landtag Brandenburg streiten wir dafür, dass es diesmal nicht so läuft wie nach vergangenen Krisen, dass nämlich die kleinen Leute bezahlen. Nein. Wir wollen diejenigen zur Kasse bitten, die es verkraften können, deren hohe Vermögen in der Krise oft sogar noch gewachsen sind.
Die Corona-Pandemie ist bei weitem noch nicht überwunden. Nach wie vor gibt es keinen Impfstoff. Medikamente zur Behandlung Erkrankter fehlen. Unvermindert bedrohen neue Hotspots des Virusbefalls ihre Umgebung.
Die Defizite in den sozialen Regelsystemen sind nun unübersehbar geworden. Für uns geht es um einen Umbau hin zu einem leistungsfähigen Sozialstaat, der allen soziale Sicherheit und Perspektiven bietet. Deswegen wollen und müssen wir voran zu funktionsfähigen Strukturen, die dies auch unter Bedingungen von Krisen, Klimawandel, Digitalisierung, Globalisierung ermöglichen. Es geht uns dabei nicht um einen »Vater Staat«, sondern darum, dass die Menschen mitgestalten können.
Für uns liegt die Schlüsselfrage in der Rückerlangung und Stärkung des Öffentlichen in Land, Kommunen und auch im Bund: Hohe Mieten, mangelhafte Verkehrsanbindung oder schlechte Internet- und Mobilfunkversorgung sind keine Privatprobleme der Menschen. Wir setzen uns dafür ein, dass ein starkes Gemeinwesen sich der Lösung dieser Alltagsprobleme annimmt. Der Staat ist hier ein wesentlicher, wenn auch nicht der einzige relevante Akteur – als Gestalter und Ermöglicher des Öffentlichen, von öffentlichen Räumen und öffentlichen Gütern. Diese müssen für alle zugänglich sein und dürfen keinem Primat privater Interessen unterliegen. Sie brauchen eine solide Infrastruktur durch die öffentliche Hand und eine solidarische, kreative Nutzung durch die Zivilgesellschaft und die Individuen.
Die Krise hat gezeigt, wer den Großteil der gesellschaftlichen Arbeit schultert: In den »systemrelevanten« und oft prekären Berufen vom Krankenhaus über die Not-Kita bis zum Einzelhandel standen Frauen in vorderster Linie der Infektionsgefahr. Es waren überwiegend Frauen, die nach Feierabend oder neben dem Homeoffice Kinder unterrichteten, trösteten, bekochten, umsorgten. Diese Arbeitsverteilung war schon vor der Krise nicht »gesund«. Quer durch dieses 10-Chancen-Papier zieht sich daher der Ansatz, mehr Fürsorgearbeit verlässlich auf öffentliche Schultern zu packen und Erziehende und Pflegende nicht auch noch mit finanziellen Sorgen zu belasten. Klar ist: die Politik muss im Blick haben, wie sich die von ihr gesetzten Rahmenbedingungen auf die private Arbeitsteilung in Familien auswirken.
Wir beschränken uns nicht auf die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Krise. Denn wir haben auch eine gesellschaftliche Krise. In den Bürger*innengesprächen der letzten Wochen haben wir vielfach eine tiefe Resignation wahrgenommen. Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich hilflos und allein gelassen fühlen und frustriert sind. Da ist die alleinerziehende Mutter, die ihren Job verloren hat, weil sie bei den Kindern sein musste. Da ist der Clubbetreiber, bei dem die Soforthilfe des Landes aufgebraucht ist und der nicht weiß, wovon er ohne Gäste die Miete für den Club aufbringen soll. Da ist die kleine Familie, in der beide Eltern nur noch Kurzarbeitergeld bekommen und das vorn und hinten nicht reicht, um die laufenden Kosten zu bezahlen. Da ist die kleine Veranstaltungsagentur, die sich mit ein paar privaten Feiern nicht über Wasser halten kann. Sie alle haben sich darauf verlassen, dass ihnen der Staat hilft, wenn er zum Schutze der Gesellschaft ihre Arbeitsmöglichkeiten drastisch einschränkt. Sie alle haben vertraut und wurden enttäuscht. Denn die erhoffte Hilfe blieb aus oder reichte bei Weitem nicht. Angst, die Existenz zu verlieren, Sorgen um die Zukunft und tiefe Verunsicherung angesichts der noch immer nicht absehbaren Folgen der Pandemie haben das Vertrauen in staatliches Handeln und in das demokratische System erschüttert. Diesem Vertrauensverlust möchten wir entgegenwirken, mit den Mitteln, die wir haben. Wir sind im Land unterwegs und hören zu. Wir nehmen die Stimmungen und Bedürfnisse mit ins Parlament und bleiben dran. Wir treten entschieden all jenen entgegen, die Frust bei den Menschen instrumentalisieren wollen für Hetze und Spaltung.
Wir reden im vorliegenden Papier nicht nur über einen kurzfristigen Plan zum Umbau des Landes. Wir gehen davon aus, dass
- die Bewältigung der akuten Krisensituation noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird und
- der gesamte von uns angestrebte Reformprozess prägend für dieses Jahrzehnt sein wird.
Das heißt nicht, dass Abwarten angesagt ist. Die Bewältigung der Krisenfolgen muss jetzt beginnen – jetzt geraten Menschen (tiefer) in Not. Lehren aus der Krise müssen jetzt gezogen und umgesetzt werden.
Quelle: https://www.linksfraktion-brandenburg.de/politik/sozialstart/praeambel/